„Schön bunt“ – die falsche Antwort

Verfasst am 18. September 2015
Nicht selten haben wir als Drucker auch direkten Kontakt zu den Mediengestaltern. Meist tauscht man sich über Drucktechnik und Verfahrensmöglichkeiten aus. Ab und an ist aber auch die Gestaltung mit ihren emotionalen Komponenten wie Bildern, Formen und Farben das Thema. In diesem Zusammenhang plauderte kürzlich ein erfahrener Grafikdesigner aus dem Nähkästchen seiner Erlebnisse als Ausbilder von Mediengestaltern. Dabei ging es vor allem um das Thema Farbgebung.
Bunte Stifte

Einer seiner Azubis im letzten Lehrjahr hatte für einen Kunden aus der Metallbranche einen Produktfolder gestaltet, in dem zwanzig unterschiedliche Produktkategorien von Schrauben präsentiert wurden. Der Azubi war auf die Idee gekommen, die Kategorien durch zwanzig unterschiedliche Farben bzw. Farbnuancen voneinander zu unterscheiden. Dabei hatte er sich, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, nicht nur der vier Grundfarben bedient, sondern davon jeweils weitere Farbabstufungen und sogar -mischungen abgeleitet. Er war richtig stolz auf seine Arbeit. Und auf die Frage des Ausbilders, warum er das denn so farbig gemacht habe, kam die Antwort: „So machen wir die langweiligen Schraubensortimente für die Adressaten viel ansprechender und lebendiger. Das ist doch richtig gut für den Leser, und besser voneinander unterscheiden kann er die Produktsorten auch. Das finde ich richtig schön so.“

Aus Sicht des erfahrenen Grafikdesigners war das definitiv die falsche Antwort. Eine derart bunte Gestaltung hatte keineswegs die Funktion, dem Adressaten die einzelnen unterschiedlichen Produktkategorien nahezubringen. Im Gegenteil: Sie verschleierte eine klare und nachvollziehbare Strukturierung und lenkte die Aufmerksamkeit weg von den zu kommunizierenden Besonderheiten jeder einzelnen Schraubensorte auf 20 unterschiedliche Farben, die man sich auf Dauer nicht merken kann. Bei drei oder vier Kategorien wäre das vielleicht noch möglich gewesen, aber kaum ein Mensch ist in der Lage, die Zuordnung von 20 Farben auf die Schnelle zu lernen und zu behalten. – Was hätte der Azubi also beachten müssen? – Auf jeden Fall den Grundsatz, dass es im Rahmen der Unternehmenskommunikation (und dazu gehört nun mal auch eine Produktbroschüre) um die Funktionalität von Design geht.

„Design for function“ lautet das Prinzip. Die Gestaltung ist im Fall von Gebrauchsgrafik nicht „Kunst um der Kunst willen“. Der Designer hat klare Kommunikationsziele zu verfolgen. In diesem Fall ging es darum, den Adressaten die Besonderheit oder das Spezifische jeder einzelnen Schraubensorte zu vermitteln. Das bedeutete für die Gestaltung: Rubrizierung, klare Seiten und/oder Spaltenzuordnung zu jeder Sorte, deutliche typografische Lösungen (mit Überschriften, Unter- und Zwischenüberschriften, Bildtexten und Fließtext), Auswahl und Zuordnung eines jeweils sortentypischen Bildes oder einer entsprechenden Grafik, eventuell Durchnummerierung oder alphabetische Reihenfolge, Übersichtverzeichnis usw. Klarheit und Konzentration auf das Wesentliche war hier gefragt und nicht Verwirrung durch Farbenspiel und Emotionalisierung – wohlgemerkt in diesem speziellen Falle einer umfangreichen Produktbroschüre.

„Design for function“ bedeutet aber im Umkehrschluss keineswegs Verzicht auf Farben. Im Gegenteil. Vor allem im Rahmen von Imagewerbung spielt die Verwendung von Farben eine wichtige Rolle, wenn es zum Beispiel um Wiedererkennbarkeit oder Positionierung des Unternehmens geht oder um die Umsetzung affektiver Ziele. Aber auch dann heißt es: „Schön bunt“ ist die falsche Antwort. Die richtige Antwort formuliert eben ganz genau die Funktion jedes einzelnen Designelements und speziell auch jeder einzelnen im Entwurf verwendeten Farbe.

Foto: stux / pixabay / CC0 Public Domain